BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ortsverband Starnberg

Stadtentwicklung

 

In der Vorstellung ist die Stadt eine sehr gelungene menschliche Lebensform. Geprägt durch Gemeinschaft und anregende Kommunikation, durch Arbeitsteilung und kurze Wege, durch die Verfügbarkeit von Waren und Dienstleistungen.

In der Wirklichkeit erstickt Starnberg im Autoverkehr, profitiert und leidet gleichzeitig unter zunehmendem Zuzug und betoniert und asphaltiert sich deswegen dauerhaft zerstörend in seine  einzigartige Umgebung. Starnberg ist eben hin- und hergerissen zwischen seinen vielen oft kaum vereinbaren Funktionen und Facetten: mondäne Schlafstadt der nahen Metropole München, begehrter Altersruhesitz,  mehr überfahrenes als überlaufenes tagestouristisches Ausflugsziel am See und ganz normale, verschuldete Kleinstadt, die von ihrer Millionärsdichte nicht profitiert, sondern mit und gegen Nachbarkommunen um Gewerbesteuern kämpft.

Die Bürgerschaft ist zerstritten, denn sie ist mindestens ebenso glücklich über die einmalige Schönheit der Umgebung, die es natürlich unbedingt zu erhalten gilt, wie ungehalten über die  durch eben diese einmalige Umgebung eingeschränkten Entwicklungsmöglichkeit für Gewerbe und Verkehrsinfrastruktur.

Wie wollen wir leben?

Wie die Vor- und Nachteile unserer geografischen Lage, unserer Bevölkerungsstruktur, des ständigen Zuzugs bewerten und steuern?

Ist uns Wachstum wichtiger als Lebensqualität und was genau ist Lebensqualität überhaupt?

Oder gibt es als Alternative zum Wachstum, das Lebensqualität zerstört, auch qualitatives Wachstum, das die Lebensqualität nachhaltig verbessert?

 

Bevölkerungswachstum - Zuzugsdruck

Den seit langem anhaltenden und immer noch steigenden Zuzugsdruck hat Starnberg nicht seiner städtebaulichen Schönheit zu verdanken, sondern seiner Lage in der Boom-Region München, seinem Ruf als Stadt der vermeintlich „Reichen und Schönen“ und seiner, trotz zunehmender  Zersiedelung, immer noch atemberaubend schönen Landschaft.

Starnberg kann aber eben wegen dieser einzigartigen Lage zwischen See, Höhenrücken, Wald- und Naturschutzgebieten ohne Verlust seiner Identität nur noch ein sehr begrenztes Wachstum und eine eng begrenzte Ausweitung der Bebauung verkraften.

 

Unsere Forderungen:

  • Schutz vor Zersiedelung der noch freien Reste dieser Landschaft durch Wohn- und Gewerbegebiete
  • Schutz vor Zerstörung durch Straßenbau
  • keine Ausweisung von Bauland im Außenbereich und an den Rändern der Stadt
  • eine maßvolle Verdichtung im Stadtgebiet mit dem Ziel, historische Strukturen ge­wachsener Ortsteile zu erhalten
  • Erhaltung strukturierender Grünzüge und der historisch gewachsenen Gartenkultur
  • Rückbesinnung auf eine gemischte Bebauungsstruktur mit integrierten Einzelhandelsge­schäften statt Ausweisung von Einkaufszentren an den Stadträndern oder im Außenbe­reich
  • Unterstützung von Handwerkerhöfen und keine großflächige Ausweitung des Gewerbegebietes Schorn und einem damit verbundenem verkehrserzeugenden Ausbau der Infrastruktur

 

Wohnqualität - Lebensqualität

Weil wir keine neuen Baugebiete ausweisen und den Zuzug nicht beschränken wollen, brauchen wir eine kreative Vision von neuen Lebens- und Wohnformen.

Die gegenwärtige Entwicklung stellt sich wie folgt dar:

  • Täglich werden in Deutschland 220.000 m² für Straßenverkehrsflächen verbraucht, davon sind allein 150.000 m² kommunale Straßen
  • Pro Sekunde werden in Deutschland 10 m² versiegelt oder überbaut
  • Seit 1960 hat der Wohnraum pro Person von 14 m² auf 47 m² zugenommen

 

Wie aber definiert sich Lebensqualität

  • über den Zuwachs an Wohnraum?
  • über nachbarschaftlichen Zusammenhalt?
  • über kulturelle Vielfalt?
  • über die Möglichkeit, unverbaute Landschaft zu erleben ?
  • über die Möglichkeit, saubere Luft zu atmen?
  • über die Möglichkeit, bis ins hohe Alter selbstbestimmt zu leben?
  • über die Möglichkeit, ohne Auto einkaufen zu können?
  • ...

 

Auf jeden Fall bedeutet ein noch größeres Wohnzimmer nicht automatisch eine Zunahme von Lebensqualität.

Damit auch in Starnberg diese Fragen gestellt, diskutiert und im Sinne des Positionspapiers weiterentwickelt werden können, schlagen wir folgende Maßnahmen vor, die die Stadt Starnberg aktiv fördern sollte:

  • Mehrgenerationen-Wohnprojekte,
  •  Senioren-Wohngemeinschaf­ten 
  • gemeinschaftliche Familienwohnmodelle
  • eine Mitwohnzentrale
  • flexible Grundrisse im sozialen Wohnungsbau
  • die Öffentlichkeitsarbeit für diese alternativen Modelle

 

Baukultur

Starnberg ist bei weitem nicht so schön wie sein Ruf.

Viele Besucher zeigen sich gleichermaßen begeistert vom See und der Landschaft wie enttäuscht von der Stadt.

Und selbst wenn manch Einheimischer durch lange Gewöhnung abgestumpft ist, man kann die Enttäuschung nachvollziehen.

Hier zeigen sich besonders viele, spezifisch Starnberger, Probleme.

Starnberg, abgesehen von einigen Bauernhöfen und Fischerhäusern nebst einem etwas überdimensionierten Lustschloß, eine lose Ansammlung von Sommerhäusern des Münchner Großbürgertums hat keinen eigentlichen Stadtkern, keine wirkliche Innenstadt entwickelt und das, was ein Stadtkern hätte werden können (Tutzinger Hof Platz) erstickt im Verkehr.

Für diesen Zustand der Stadt gibt es viele Gründe und es hat nicht an Versuchen gefehlt, dieser Stadt ein Gesicht, ein Flair zu geben (Eberl-Plan, Rahmenplan). Den jüngsten dieser Ver­suche, den Stadtentwicklungsplan begrüßen wir Grünen in (fast) allen Punkten.

 

Dies betrifft insbesondere:

  • Die Förderung einer neuen Baukultur mit Hilfe baukultureller Leitlinien für städteplaneri­sche und größere Bauvorhaben sowie Einsetzung eines Gestaltungsbeirats, der den Stadtrat bei der Beurteilung derartiger Planungen berät
  • Die Einführung von Gestaltungssatzungen für die Ortsteile und zur Sicherung qualitäts­voller öffentlicher Räume
  • Die Berücksichtigung gewachsener Strukturen

 

Stadt der kurzen Wege – Stadtplanung ist auch Verkehrsplanung

Zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkaufen wird man in Starnberg nur, wenn dies in der näheren Umgebung auch möglich ist. Deshalb unterstützen wir die Einrichtung und Förderung von Nahversorgungs-Möglichkeiten wie z.B. den geplanten Lebensmittelmarkt Hanfelder-/ Waldschmidt-Straße

 

Wohngebiete – Mischgebiete

Das Konzept der Trennung von reinen Wohngebieten (Schlafstädte) und Gewerbegebieten möglichst auf der grünen Wiese stammt aus den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts und hat sich nicht bewährt. Neben der Verödung der Schlafstädte erzwingt diese Trennung den täglichen Berufsverkehr. Um eine Stadt der kurzen Wege zu erhalten oder wieder zu gestalten, muss diese Trennung soweit als möglich aufgegeben werden. Während in Gebieten mit Schwerindustrie diese Forderung nur schwer umsetzbar ist, eignet sich gerade eine Kommune wie Starnberg mit seinem überwiegend hochqualifizierten Dienstleistungsgewerbe ganz besonders dafür. Dies bedeutet für die Bauleitplanung die weitgehende Abschaffung der reinen Wohngebiete zugunsten von allgemeinen Wohngebieten, in denen Gewerbeausübung möglich ist.

Die Ausweisung des Gewerbegebietes Schorn ist auch in dieser Hinsicht ein Schritt in die völlig falsche Richtung.

Darüber hinaus kann durch eine grundlegende Veränderung der Stellplatzverordnung, die derzeit schon bauleitplanerisch erzwungene Präferenz für das Auto als wichtigstem Verkehrsmittel, verändert werden.

 

Verkehr – eigenes grünes Verkehrskonzept

Starnberg ist eine Stadt der Autofahrer, für Fußgänger und Radfahrer gibt es kaum Luft zum Atmen. Zur Verkehrsproblematik gibt es viel mehr zu sagen und zu tun, als die unsinnige und polarisierende Geisterdebatte „Tunnel oder Umfahrung“ dies den Bürgerinnen und Bürgern suggeriert. Die Grünen haben hierzu ein eigenes Positionspapier verfasst.

 

Seeanbindung

Und zum Schluss noch ein Wort zum größten und heiß umstrittenen Stadtentwicklungsprojekt der Seeanbindung

Wie in unserem Wahlprogramm 2008 nachzulesen, war unsere Position damals gegen die Seeanbindung. Für uns war das Hauptargument die enorme finanzielle Belastung für die Stadt.

Dieses Argument gewinnt an Schärfe, wenn man die nur schwer kalkulierbaren Risiken einbezieht, die in möglichen Baukostensteigerungen liegen. Der Bahnhof Nord hat am Ende ja auch fast dop­pelt so viel gekostet wie geplant.

Heute stimmen wir für die Seeanbindung.

Und das, obwohl sich an den finanziellen Risiken nicht geändert hat und die Stadt heute finanziell schlechter dasteht als 2008.

Der Grund für diesen Positionswechsel ist die Einsicht in die folgenden Umstände:

Der Vertrag aus dem Jahr 1987 verpflichtet die Stadt zur Seeanbindung. Man kann über den Vertrag denken was man will, er ist rechtsgültig. Ein Ausstieg aus dem Vertrag ist natürlich möglich, abzuwägen sind die Folgen. Dabei ist eine mögliche Schadensersatzklage die weniger bedrohliche.

Viel bedrohlicher ist, dass mit dem Ausstieg aus dem Bahnvertrag die Bahn ihre Grundstücke frei veräußern darf. Sie kann sie meistbietend verkaufen.

Jetzt könnte man sich ausrechnen, dass die Stadt immer noch billiger wegkommt, wenn sie die frei werdenden Grundstücke zu Marktpreisen kauft, aber den Gleisumbau nicht finanzieren muss.

Wir hätten dann aber nur die Baugrundstücke, keine Flächen am See und keinen neuen Bahnhof.

Und auch die Stadt müsste diese Grundstücke verwerten, soweit sie überhaupt das Geld für den Kauf aufbringen kann.

Im schlimmsten Fall passiert in Starnberg aber folgendes:

Wir steigen aus dem Vertrag aus und zahlen eine hohe Strafe, die Bahn bebaut ihre Grundstücke selber unter maximaler Ausnutzung ihrer rechtlichen Möglichkeiten und veräußert die Gebäude dann kurze Zeit später meistbietend.

Die Stadt hat dann keine Seeanbindung, sondern eine Seeabschnürung, keinen neuen Bahnhof, keine Gestaltungsmöglichkeit und das für die nächsten 100 Jahre.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir für dieses Projekt Opfer bringen müssen.

Die Stadt wird das Areal um den Bayerischen Hof samt alter Oberschule verkaufen müssen. Diese bittere Pille lässt sich leichter schlucken, wenn man weiß, dass die Kosten selbst für die dringendsten Sanierungen am Bayerischen Hof (Brandschutz, Dach, Statik) auf weit über 1 Million geschätzt werden. Wir werden uns noch mehr verschulden und andere Projekte zurückstellen müssen, aber wir bekommen auch Platz am See und einen neuen Bahnhof.

 Unsere Position:

  • Aufwertung der stadtseitigen Flächen und des Uferbereichs mit großzügigen Verbindungen, damit alle die einmalig schöne Lage am See erfahren und genießen können
  • Ablehnung einer Seeaufschüttung, weil damit eine für die geschützten Naturräume negative Präzedenzwirkung verbunden wäre.
  • Eine sich in das historische Stadtbild einfügende Bebauung auf der Stadtseite der Bahnhofsplatzes, die eine möglichst freie Sicht auf den See ermöglicht
  • Die Erhaltung der traditionellen Baustruktur des denkmalgeschützten Bayerischen Hofes und des Gebäudes der Volkshochschule muss gesichert sein, auch wenn die Stadt zur Finanzierung der Gleisverlegung das Areal an einen Investor veräußern oder verpachten sollte.
  • Im Bereich der stadtseitigen Seeanbindung und des Ortskerns soll eine verkehrsberuhigte Zone  entstehen, in der alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen Anspruch auf Rücksichtnahme haben. Damit verbunden sind eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität  und die Aufwertung der Stadträume auch für Geschäfte, Handwerk und Ausstellung.
  • Überprüfung aller Maßnahmen hinsichtlich ihrer Finanzierbarkeit und ihrer wirtschaftlichen Nachhaltigkeit.

 

 

 

Beschlossen am 05. Juni 2013